Mittwoch, 2. Juli 2008

Basel (2)

Ich war mit dem Zug schon durch die ganze Schweiz gefahren und wollte in Basel eine Mitfahrgelegenheit nach Deutschland nehmen, aber der liebe Anselmo kam nicht, ich hatte zu wenig Geld auf dem Handy um anzurufen und er antwortete auch auf meine letzten drei SMS nicht mehr. Ich wartete anderthalb Stunden am verabredeten Treffpunkt und lief dann zum badischen Bahnhof, in der Hoffnung, ab dort trampen zu können. Zwei Stunden lang ist daraus nichts geworden, also kaufte ich mir ein Ticket für den Nachtzug und ging in Basel weiterwarten.
Wie wartet man eigentlich am besten?
Während der Zugfahrt war mein Lesevorrat, "Die Kunst des Schauspielers" von M. Tschechow, und mein Proviant ausgegangen. Der Akku meines Telefons war auch leer. Es war noch eine Stunde, bis zur verabredeten Zeit für die Mitfahrgelegenheit, als ich so in Basel ankam.
Erstmal setzte ich mich auf eine Wiese und nahm wieder meine Identität an (für die Zugfahrt hatte ich mir eine andere geliehen und sie in meiner Phantasie ala Tschechow wahnsinnig schön ausgebaut). So wieder erkennbar wollte ich in der Mitte nette Leute treffen, und derweil den Akku laden. Leider war kein bekanntes Gesicht zu sehen. Ich fand eine Steckdose und eine Toilette, konnte auch meine Wasserflasche wieder auffüllen und ein bisschen im Schatten hocken, schickte einen Brief ab, kaufte bei einer wirklich besonders unsympathischen Kassiererin bei Spar Orangensaft und - auch nicht zu empfehlen - Nuss-Stängli (irgendwo muss es aber richtig gute geben! waren die von coop?) und schaute mir dann die Menschen an, wie sie Gehen, Stehen, Fahrrad und Autofahren, Parken, Reden, Lachen, etwas tragen, Kreischend durch die Springbrunnen beim Messeplatz hüpfen, Essen, sich auf eine Zirkusvorstellung vorbereiten, Telefonieren, im Rhein schwimmen, über Flatterband Absperrungen klettern, Bier trinken, Warten... und ich sah ihnen allen an, dass ich nicht auf sie wartete.


Ich schaue den Vögeln zu, die so hoch fliegen, dass man sie nur sieht, wenn man ihnen zuschaut. Für den Verübergehenden, den schweifenden Blick, verschwinden sie samt ihrer Flügelschläge im Blau des Himmels. Ich schaue dem Fließen des grünen Wassers zu, der Sonne, wie sie untergeht, höre Vögel und werde von einem Spatz besucht, der anscheinend glaubt, ich sei schildkrötenlangsam und hätte nur zwanzig Zentimeter lange Arme. Ich lasse ihn in dem Glauben und wir teilen und Stangenbrot mit Hüttenkäse.

Ich bin ziemlich enttäuscht von mir, dass ich das mit dem trampen nicht hingekriegt habe.

Wofür bin ich hier?

Wofür ist mir diese blöde Sache passiert, dass ich vergeblich auf eine Mitfahrgelegenheit warte und dafür auch noch vorher viereinhalb Stunden Zug gefahren bin? Mein augenblickliches Unvermögen, dem Gegenwärtigen einen Sinn zu geben und die Zeit, die mir noch zum Nachdenken bleibt, verschmilzen in immer üblere Grübeleinen, die bald weit über Basel hinausgehen... Mir rollt eine Träne über die Wange. Eine Frau kommt auf mich zu "Schuldigung, hättest du vielleicht einen Joint?" Ich schüttle den Kopf "nich? ja sorry, ich dachte nur..." und ich dachte, kaum rollt dir eine Träne über die Wange, kommt schon jemand um dich zu trösten - ah! doch nicht! Sie ist noch nicht außer Sichtweite, als ein älterer Mann auf mich zu kommt, vielleicht wirklich, um mich zu trösten, aber ich hocke so am Boden, dass er mir vielleicht in den Ausschnitt gucken könnte, also reagiere ich ein bisschen erschrocken und er sagt zwar seine netten Worte, zieht sich aber gleichzeitig schon wieder zurück. Ich weiß nicht mehr, was er sagte.
Mir direkt gegenüber, auf der anderen Seite des Rheins ist ein Loch in der Mauer, die steil ins Wasser abfällt. Das Loch hat die Umrisse eines Menschen, der so am Boden hockt wie ich. Höhnisches Spiegelbild der Schwärze, die sich in mir aufbaut und bissige, hohle oder tiefe Antwort darauf, wie alleine ich mich fühle. Um mich nicht von meinen Grübeleien weiter aushöhlen zu lassen, schreibe eine sms und gehe. Vielleicht treffe ich beim Jugendzirkus Basilisk Leute, die ich zwar nicht kenne, aber verstehe. Als ich beim Zirkus ankomme, läuft die Vorstellung. Ich gehe weiter zum Bahnhof und setze mich dort vor das geschlossene Theater.
Dort entdecke ich die süße Botschaft, die mir ein Experte in Sachen Glück in meinem Gepäck versteckte.

1 Kommentar:

Jasmin Kerkhoff hat gesagt…

Hallo Anna,

schönmal wieder so viel von dir zu lesen!
bist du noch in der schweiz?
die tage bin ich in der wandelhalle am goetheanum ein paar mal ein und ausgegangen und glaubte dich am tisch sitzen zu sehen, war mir aber so unsicher und dann auch schon wieder so beschäftigt, dass die gruppe, die am tisch saß weg war als ich das nächste mal schauen war.
wie geht es dir?
würde mich freuen was von dir zu hören!
ganz liebe grüße, Jasmin