Wir leben zu fünft in diesem netten alten Haus in Intragna. Man kommt vom Hof über eine Steintreppe in die Küche. Es hat auf jeder Etage ein Bad, unten ein Wohnzimmer und ein Schlafzimmer - das Schlagzeug steht auch dort - und oben noch mal drei Zimmer. Ach ja, ich könnte auch sagen, dass wir zu sechst dort wohnen und dass es außer dem Balkon noch eine Art geschlossenen Veranda hat, aber die ist klein und es stehen nur Koffer und Schuhe darin und an einem Fenster hängt Schleier, Rock und Brautkranz. Ja und zu sechst sind wir eben auch noch nie gewesen - doch: als der Kleine noch nicht da war, und die Großäugige mit den kurzen dunklen Haaren ihren Freund zu Besuch hatte. Sonst ist sie meist bei ihm aber am nächsten Morgen hatte er auf den Block an der Tür geschrieben "Grazie per la notte!" Und seid dem war sie auch nicht mehr da. Über Tag sind auch die anderen nicht da, nur ich immer wieder und natürlich der Kleine.
Die anderen müssen arbeiten oder zur Schule, man kann ihnen also nicht vorwerfen, dasssie sich nur abends mal um den Kleinen kümmern und vielleicht manchmal morgens. Er ist zwar kein Wunschkind, aber wir würden alle für ihn töten und haben es auch schon mehrmals getan.
Morgens wache ich meist neben meinem Liebsten auf, weil eine dicke, oder zwei kleinere Fliegen, oder gleich alle drei "Reise nach Jerusalem" auf allen unbedeckten Stellen meines Körpers spielen. Das Spiel funktioniert so gut, weil ich kitzlig, und auch im Halbschlaf bemüht bin, ein Stück Haut, wo es mich wieder und wieder krabbelt zu bedecken. Bevor der Kleine da war, dachte ich den süßen Langschläfer da neben mir würden die Fliegen weniger stören. Heute Morgen dann die Überraschung: kaum war der erste Brummer gelandet, wurde neben mir jemand hellwach und brachte ihn zur Strecke.
Und ich gebe zu, mich hat die neue Situation auch verändert: Salatwaschen habe ich gehasst und wenn kleine Schnecken drinsaßen erst recht! Heute habe ich einen riesen Berg Salat gewaschen, obwohl nicht mal klar ist, wer den essen soll und GEHOFFT ein paar Schneckchen zu finden. Sie waren auch da, drei niedliche kleine Schnecken. Genau richtig, um sie - ein wenig zerquetscht, aber - mit einem Mal im großen Schnabel von unserem Kleinen verschwinden zu sehen.
Er stresst ganz schön der Kleine! Manchmal freue ich mich darüber, wie lebendig er ist. Manchmal versuche ich ihn zu beruhigen, ohne seine Muttersprache zu kennen. Sprache interessiert ihn ohnehin nicht - das ist auch besser so. Er käme ein wenig durcheinander: ich spreche meist Deutsch mit ihm; die Frau, die ihn ins Haus gebracht hat, Französisch; wenn wir alle um den Tisch sitzen, Italienisch oder auch ein bisschen Schweizerdeutsch.
Heute in den zwei Stunden, die ich mit Essen Spülen, Teetrinken, Putzen, Kochen und Salatwaschen verbracht habe, hat er nur selten den Schnabel gehalten. Und wenn ich mit einem Abtrocknetuch vorbei wedelte, reckte er sich erwartungsvoll aus seiner Kuschelkiste, machte den dünnen Hals ganz lang und zappelte dazu das ein oder andere Mal auch noch wie wild.
Ich denke, dass sogar Rabeneltern unentwegt mit Futtersuchen, Futterholen und Füttern beschäftigt sind, aber ich fühle mich zur Zeit nicht lange wohl in der Rolle als Hausfrau und Mutter, also hoffe ich, dass der dicke Wurm, die drei kleinen Schnecken und die zwei Fliegen dem Kleinen bis heute abend zum überleben genügen...
Ich war im fluss baden, mache gleich ein Picknick, vielleicht noch eine Filmaufnahme von zwei Akrobaten und fahre auf dem Heimweg beim Elternhaus meines Liebsten vorbei, wo ich ein paar Würmer im Kompost vermute, die der Kleine zur Abwechslung essen könnte, ansonsten gibt es wieder Kellerasseln zum Abendessen.
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