Dienstag, 9. Oktober 2007
Nebeneinander
Auf der Geburtstagsfeier von David und Francesca aus Italien gab es gutes Essen, gute Gespräche, gute Gelegenheiten zum Tanzen... irgendwann... Flurin trommelte, Tila sang und ich fand mich allein auf der Tanzfläche wieder und hörte, dass die Menschen, die um mich herumstanden in den Gesang einstimmten, als wollten sie mir zeigen, wie ich tanzen sollte... auf nackten Füssen, neben einem zerbrochenen Glas.
Es erforderte keinen Mut die Aufmerksamkeit so vieler Menschen auszuhalten. Hätte ich die Situation kommen sehen und Angst davor gehabt, wäre Mut nötig gewesen, um dort zu tanzen... aber ich tanzte weiter und es blieb eine Leichtigkeit in mir, als ich mich so in der Situation wiederfand.
Das ist mein einziges Steinmännchen mit Namen. Es heißt "an den Herbst".
Einmal kam ich an den Fluss, um wieder ein Steinmännchen zu bauen und da war das ganze Ufer voll von kleinen Türmen, Bögen und Bauten aus Steinen. Eine Familie, Mutter, Vater und zwei kleine Mädchen bauten noch weitere. Ich fragte, ob sie das alles gebaut hätten, nein, und sie wären überhaupt zum ersten mal auf diese Idee gekommen. Der Vater baute ziemlich gewagte Steinmännchen - so wie ich sie auch baue: mit möglichst aufrechten Steinen und einem labilen Gleichgewicht, nichts für die Ewigkeit, aber wie eine kurzzeitige Überwindung der Schwerkraft. Die Mutter erzählte, dass sie neben einem Atomkraftwerk wohnen, dass sie sich dort sicherer fühlt, als in den Bergen, wo die Klimaveränderung Erdrutsche immer wahrscheinlicher macht. Das Atomkraftwerk und eine atomare Forschungsstelle seien die größten Arbeitgeber in der Gegend und deshalb habe keiner etwas dagegen, obwohl ihr klar sei, das da nicht umweltschonend und nachhaltig Energie gewonnen werde und was solle aus den Arbeitern werden, wenn die Uranvorräte zur Neige gehen? Ihr Mann wäre nicht betroffen, er ist Schädlingsbekämpfer.
Es war ein Nebeneinander, vor Ansichten, Lebensmotiven, die ich nie nebeneinander vermutet hätte.
Es stand für mich zum ersten mal ein Weg fest, den ich bereitwillig über Jahre verfolgt hätte, mit Menschen, die mir so wichtig sind, wie ich es vorher nicht erlebt habe, mit einer Idee, einer Aufgabe, die durch captura für mich geifbar war... und jetzt sind hier Menschen, die genauso wichtig für mich werden könnten, mit denen gemeinsam sich vielleicht auch noch andere Aufgaben zeigen? Oder führt mein Weg sicher zu captura und ich nehme sie mit? Ich will sie auf jeden Fall einladen! Im Moment bin ich halb bei den Menschen, die ich schon kenne und halb bei denen, die ich hier kennenlerne. Ich würde ihre Welten so gerne verbinden, um wieder ganz zu sein... das Nebeneinander ist schwer zu ertragen.
...vielleicht steht es auch erstmal an, ganz hier zu sein, ganz jetzt...
Freitag, 5. Oktober 2007
überblick
Am 3. Oktober war ich genau einen Monat hier. Ich fand, dass es Zeit war, sich mal einen überblick zu verschaffen und machte einen Spatziergang bei Verscio den Berg hoch zur Kapelle St. Anna.
Ich habe mich ein bisschen verlaufen und dadurch einen wunderschönen Aussichtspunkt gefunden.
Ich konnte Verscio sehen; alle Gebäude, in denen ich Unterricht habe, ich konnte von oben meinen kürzesten "Schulweg" ausmachen...
...und als ich unversehens bei einem alten Mann im Garten stand und ihn fragte, wie ich zur Kapelle käme, kletterte er mit mir durch seinen Garten, wies in den Wald dahinter und sagte, das sei der kürzeste Weg.
Auf diesem Weg habe ich dann massenhaft Esskastanien gefunden, was ein Glück war, weil ich ziemlich Hunger hatte.
Die grössten Kastanien gibt es an der Kapelle selber und mir wurde immer wieder erzählt, dass es ein besonderer Ort ist.
Was habe ich bis jetzt gelernt?
... viele, viele Bewegungsabläufe, die meisten rhythmisch und kaum etwas so, dass ich es jetzt schon richtig kann... ich habe nicht gelernt, wie man bestimmte Ziele erreicht, sondern welche Wege man auch gehen kann... und weitergehen muss, um irgendwo anzukommen.
In letzter Zeit haben wir sooo viele Hausaufgaben auf, dass ich mir nicht wirklich in Ruhe einen überblick verschaffen konnte und aufpassen muss, nicht krank zu werden (oder erstmal richtig gesund zu weden) - andererseits sind es so wenige Hausaufgaben, dass ich das Wort noch nicht auf italienisch kenne ;)
Ich habe mich ein bisschen verlaufen und dadurch einen wunderschönen Aussichtspunkt gefunden.
Ich konnte Verscio sehen; alle Gebäude, in denen ich Unterricht habe, ich konnte von oben meinen kürzesten "Schulweg" ausmachen...
...und als ich unversehens bei einem alten Mann im Garten stand und ihn fragte, wie ich zur Kapelle käme, kletterte er mit mir durch seinen Garten, wies in den Wald dahinter und sagte, das sei der kürzeste Weg.
Auf diesem Weg habe ich dann massenhaft Esskastanien gefunden, was ein Glück war, weil ich ziemlich Hunger hatte.
Die grössten Kastanien gibt es an der Kapelle selber und mir wurde immer wieder erzählt, dass es ein besonderer Ort ist.
Was habe ich bis jetzt gelernt?
... viele, viele Bewegungsabläufe, die meisten rhythmisch und kaum etwas so, dass ich es jetzt schon richtig kann... ich habe nicht gelernt, wie man bestimmte Ziele erreicht, sondern welche Wege man auch gehen kann... und weitergehen muss, um irgendwo anzukommen.
In letzter Zeit haben wir sooo viele Hausaufgaben auf, dass ich mir nicht wirklich in Ruhe einen überblick verschaffen konnte und aufpassen muss, nicht krank zu werden (oder erstmal richtig gesund zu weden) - andererseits sind es so wenige Hausaufgaben, dass ich das Wort noch nicht auf italienisch kenne ;)
Montag, 1. Oktober 2007
Fremd sein
Jetzt bin ich seit einem Monat hier und da fällt mir ein, dass ich hier fremd bin?
Nein, es ist mir wieder einmal aufgefallen. Es hätte mir genauso gut in Deutschland auffallen können – und ist es auch schon.
Vor drei Jahren habe ich noch keinen Ort gebraucht, an den ich mich zurückziehen kann – oder ich habe noch nicht gemerkt, dass ich ihn brauche... hier habe ich mir einen solchen Raum schon geschaffen (er hat noch eine offene Seite, aber funktioniert recht gut). Bin ich hier zu Hause? Irgendwie bin ich es und gleichzeitig bleibe ich fremd...
Ich werde wohl 11 Jahre alt gewesen sein, als ich zum ersten Mal alleine über mehrere Tage in Ferien fuhr, auf ein „Mädchenlager“ und ich hatte natürlich auch Heimweh. In dem Haus, in dem wir untergebracht waren, gab es auch eine Bühne, richtig mit roten Vorhängen, mehreren Aufgängen, Licht... Auf der suche nach einem Platz, um mein Heimweh auszuheulen landete ich auf dieser Bühne. Der Vorhang war geschlossen, das Licht dämmrig. Ich wanderte mit meinen Tränen im Hintergrund zwischen den schwarzen Vorhängen, aber es tat nicht mehr so weh, das Heimweh. Es war kein Gefühl mehr, was nicht in die Situation passte. Es schmerzte ein wenig süßer, die Situation war neutral oder sogar allzu bereit für jegliches Gefühl. Mitten auf der Bühne standen ein Tisch und ein Stuhl. Ich betrat die Szenerie und spielte, nach Hause zu kommen, setzte mich an den Tisch und ...war zu Hause.
Seit dem habe ich mich manchmal auf leeren Bühnen verkrochen, aus einer Situation kommend, in der ich mir zu fremd war.
Hier ist die Bühne selten mit Sicherheit für eine Weile leer. Es gibt aber die Aula Grande, in der eine Bühnensituation genutzt werden kann. Dort saß vor ein paar Tagen ein Mädchen in schwarz, schwarz, schwarz. Irgendwie wollte ich sie trösten, bevor ich sah, dass sie weinte. Sie hatte in den vergangenen Nächten zuviel geträumt. Manchmal hat man das Gefühl, zu wenig geschlafen zu haben, wenn man so intensiv träumt. Und Träume – selbst wenn es die eigenen sind – können einem so fremd sein! ...einen in eine andere Welt entführen – wie das Theater?
Gestern hatte ich das erste richtige Gespräch, was über einen Informationsaustausch, den Versuch, eine Begegnungsmöglichkeit zu schaffen, über eine kurze Begegnung, hinausging. (Während ich das schreibe, fällt mir ein anderes Gespräch ein, was noch davor liegt, ich hatte mich auch schon gewundert, dass ich fast einen Monat ohne Gespräch überlebe.) Es ging darum, warum Lea Theater machen will. Ein Grund war, um Leute aufzuwecken, auf etwas aufmerksam zu machen, vielleicht zu schockieren.
Dann haben wir uns gemeinsam ein Tanztheater angeschaut. Es war wie ein Traum. Und das meine ich nicht so romantisch, wie es vielleicht erstmal klingt, es war auch brutal, wie meine Träume auch. Es hat mich nicht aufgeweckt, sondern es hat mich wach träumen lassen. Darin habe ich eine Qualität erlebt, die ich noch nicht beschreiben kann. Ich denke jetzt: Theater kann aufwecken, es kann aber auch Träume vor das wache Auge, das volle Bewusstsein stellen.
Es wurde Französisch gesprochen in diesem Stück – ich habe nur eins verstanden: absolute Liebe. Aber was ich verstanden habe, oder besser, was sich als klar, logisch, stimmig gezeigt hat, waren die Bewegungen der Tänzerinnen. Es waren Bewegungen, die wie direkt einer Emotion folgten, als würde der Körper keinen Widerstand leisten. Ich erlebe in den Unterrichten und auch gerade jetzt, weil ich erkältet bin, wie der Körper Widerstand leistet, wenn ich etwas mache, wie ich nicht an die Vorstellung einer Form, eines Gefühls, herankomme in der Verkörperung. Ebenso komme ich mit der Vorstellung oft nicht sofort an die Verkörperung mancher „einfacher“ Dinge heran.
Wer das nicht nachvollziehen kann, dem empfehle ich, sich entspannt, reglos auf den Rücken zu legen, sich vorzustellen, wie durchs Zimmer zu gehen, dann aufzustehen, und zu tun, was man sich gerade vorgestellt hat. Hierbei können beide Schwierigkeiten wirken: zuerst stellt man sich eine Tätigkeit vor, dann führt man diese Vorstellung wieder körperlich aus... Nachdem ich diese Übung einmal gemacht hatte, fragte ich mich, wer denn im Allgemeinen meinen Körper bewegt, weil ich es offensichtlich ziemlich unbeholfen tat. Obwohl ich das Gehen dann schon beim nächsten Versuch gelernt habe, bleibt die Irritation: wie kann mir die Bewegung eines fremden Körpers so klar sein und die des eigenen so fremd?
Und dann die Sprache...
Irgendwie liegt es mir nahe, einen Unterschied zu machen zwischen Gesprächsqualität und Begegnungsqualität... begegnen kann man sich ohne Sprache und eine wirkliche Begegnung macht ein Gespräch erst wertvoll, aber auch eine Begegnung wird wertvoll (nicht wertvoller, aber voll anderem Wert) durch Gespräch. Eine sprachlose Begegnung reicht, um das Vertrauen zu schaffen, sich in einer Akrobatik aufeinander zu verlassen. Aber kann ich einem Menschen als Menschen vertrauen, ohne mich ihm in einem Gespräch genähert zu haben? Es gibt zwar so klare, intensive, wortlose Begegnungen, in der man den anderen als Mensch erkennt (ich kenne sie nicht ohne Liebe), aber in meiner jetzigen Situation spüre ich zwischenmenschliches Vertrauen da wachsen, wo Gespräch möglich war. Da wird die Fremdheit von einem Verbindungsfaden durchzogen und dass geht sogar in einer „Fremd“sprache, Englisch - auf Italienisch aber noch nicht.
Manche Dozentinnen hier weigern sich standhaft z.B. „Standbein“ mit einer fremdsprachigen Bezeichnung zu belegen, oder und auf Italienisch aufzufordern, uns zu entspannen „rilassarsi“. Und als ich ausprobiert habe, was meine Muskeln machen, wenn ich sie mit den verschiedenen gesprochenen Befehlen locker lasse, spüre ich auch einen Unterschied. Den Versuch habe ich gemacht, nachdem ich träumte, dass die maestra di danza sagte, „ich sage „relax“, weil ich will, dass ihr genau das tut - und nicht das, was ihr tut, wenn ich euch die Übersetzung sage.“
Es ist schon witzig, wie man gleichzeitig etwas Neues lernt und neue Worte lernt... was sind z.B. „ischi“? heißen die Dinger Gesäßknochen auf deutsch? Also wer mehr kann, kann oft auch mehr sagen und wer mehr versteht, kann mehr lernen... nur mit dem Verstehen lernen tue ich mich soo schwer! Weil Verstehen im Groben und Ganzen ziemlich einfach ist, aber die nächste Herausforderung ist die Sprache bis dann erst ihre Feinheiten zu beherrschen. Und sie verspricht keinen schnellen Erfolg. Im Alltag (bei der Post, mit meiner Vermieterin...) reicht mein Italienisch. Weil meine Ansprüche gering sind. Ruhe ich mich da auf meinem Ausländerausweis aus?
Es ist etwas anderes, fremd zu sein, als Ausländer zu sein. Eigentlich hatte ich mich darauf gefreut, Ausländer zu werden... aber als dann dieser hässlich graue, verplastikte Amtsfoddel mit einer Rechnung, für die ich auch zehn Tage lecker hätte essen können dalag, fühlte ich mich nicht fremd, nicht eigen, nicht herausgefordert, mein Anderssein und das der anderen Menschen hier zu erforschen und in Begegnung zu bringen – ich fühlte mich so gepackt, wie meine Vergangenheit mich hatte werden lassen und in einer Schublade ad acta gelegt. Punkt - ohne Zukunft. Diese Eindrücke waren nicht stark, sie drangen kaum bis in mein Bewusstsein vor, aber sie vergraulten meine Motivation, mich einzubringen einerseits und (sprachlich) anzupassen andererseits. Und erst seit dem ich mir darüber im Klaren bin, lässt sich diese Motivation wieder locken.
Ausländer... vielleicht ist einfach das deutsche Wort schlimm. Es weist einen auf ein Land außerhalb dessen zurück, in dem man sich befindet, entfernt einen damit von einem selbst und der aktuellen Umgebung... Vielleicht bin ich lieber straniera, dadurch bin ich Fremde, wie Ausländerin es klingt das Seltsame hindurch, es klingt nicht so flach, es passt mehr in dieses Land und sogar mehr zu mir. Dann ist mein „Ausländerausweis“ auch jetzt zum letzten Mal so bezeichnet worden, jetzt ist es so was, wie mein Textbuch: libretto per stranieri – viel kann ich nicht reinschreiben – dann muss ich es wohl doch auswendig lernen...
ich bin fremd und will auch fremd bleiben aber – sono strana.
P.S. wer sich in deutschland mit Ausländerpolitik beschäftigt, sollte sich mal mit dem Fremdsein befassen (ist viel spannender) und Politik für Ausländer den Politikern im Ausland überlassen.
P.P.S. ich wollte noch mehr über das Theater und das Fremd sein schreiben, auch weil Eugenio Barba in "Jenseits der schwimmenden Inseln" Interessantes dazu schrieb, aber ich habe das Buch nicht mit in die Fremde genommen...
Nein, es ist mir wieder einmal aufgefallen. Es hätte mir genauso gut in Deutschland auffallen können – und ist es auch schon.
Vor drei Jahren habe ich noch keinen Ort gebraucht, an den ich mich zurückziehen kann – oder ich habe noch nicht gemerkt, dass ich ihn brauche... hier habe ich mir einen solchen Raum schon geschaffen (er hat noch eine offene Seite, aber funktioniert recht gut). Bin ich hier zu Hause? Irgendwie bin ich es und gleichzeitig bleibe ich fremd...
Ich werde wohl 11 Jahre alt gewesen sein, als ich zum ersten Mal alleine über mehrere Tage in Ferien fuhr, auf ein „Mädchenlager“ und ich hatte natürlich auch Heimweh. In dem Haus, in dem wir untergebracht waren, gab es auch eine Bühne, richtig mit roten Vorhängen, mehreren Aufgängen, Licht... Auf der suche nach einem Platz, um mein Heimweh auszuheulen landete ich auf dieser Bühne. Der Vorhang war geschlossen, das Licht dämmrig. Ich wanderte mit meinen Tränen im Hintergrund zwischen den schwarzen Vorhängen, aber es tat nicht mehr so weh, das Heimweh. Es war kein Gefühl mehr, was nicht in die Situation passte. Es schmerzte ein wenig süßer, die Situation war neutral oder sogar allzu bereit für jegliches Gefühl. Mitten auf der Bühne standen ein Tisch und ein Stuhl. Ich betrat die Szenerie und spielte, nach Hause zu kommen, setzte mich an den Tisch und ...war zu Hause.
Seit dem habe ich mich manchmal auf leeren Bühnen verkrochen, aus einer Situation kommend, in der ich mir zu fremd war.
Hier ist die Bühne selten mit Sicherheit für eine Weile leer. Es gibt aber die Aula Grande, in der eine Bühnensituation genutzt werden kann. Dort saß vor ein paar Tagen ein Mädchen in schwarz, schwarz, schwarz. Irgendwie wollte ich sie trösten, bevor ich sah, dass sie weinte. Sie hatte in den vergangenen Nächten zuviel geträumt. Manchmal hat man das Gefühl, zu wenig geschlafen zu haben, wenn man so intensiv träumt. Und Träume – selbst wenn es die eigenen sind – können einem so fremd sein! ...einen in eine andere Welt entführen – wie das Theater?
Gestern hatte ich das erste richtige Gespräch, was über einen Informationsaustausch, den Versuch, eine Begegnungsmöglichkeit zu schaffen, über eine kurze Begegnung, hinausging. (Während ich das schreibe, fällt mir ein anderes Gespräch ein, was noch davor liegt, ich hatte mich auch schon gewundert, dass ich fast einen Monat ohne Gespräch überlebe.) Es ging darum, warum Lea Theater machen will. Ein Grund war, um Leute aufzuwecken, auf etwas aufmerksam zu machen, vielleicht zu schockieren.
Dann haben wir uns gemeinsam ein Tanztheater angeschaut. Es war wie ein Traum. Und das meine ich nicht so romantisch, wie es vielleicht erstmal klingt, es war auch brutal, wie meine Träume auch. Es hat mich nicht aufgeweckt, sondern es hat mich wach träumen lassen. Darin habe ich eine Qualität erlebt, die ich noch nicht beschreiben kann. Ich denke jetzt: Theater kann aufwecken, es kann aber auch Träume vor das wache Auge, das volle Bewusstsein stellen.
Es wurde Französisch gesprochen in diesem Stück – ich habe nur eins verstanden: absolute Liebe. Aber was ich verstanden habe, oder besser, was sich als klar, logisch, stimmig gezeigt hat, waren die Bewegungen der Tänzerinnen. Es waren Bewegungen, die wie direkt einer Emotion folgten, als würde der Körper keinen Widerstand leisten. Ich erlebe in den Unterrichten und auch gerade jetzt, weil ich erkältet bin, wie der Körper Widerstand leistet, wenn ich etwas mache, wie ich nicht an die Vorstellung einer Form, eines Gefühls, herankomme in der Verkörperung. Ebenso komme ich mit der Vorstellung oft nicht sofort an die Verkörperung mancher „einfacher“ Dinge heran.
Wer das nicht nachvollziehen kann, dem empfehle ich, sich entspannt, reglos auf den Rücken zu legen, sich vorzustellen, wie durchs Zimmer zu gehen, dann aufzustehen, und zu tun, was man sich gerade vorgestellt hat. Hierbei können beide Schwierigkeiten wirken: zuerst stellt man sich eine Tätigkeit vor, dann führt man diese Vorstellung wieder körperlich aus... Nachdem ich diese Übung einmal gemacht hatte, fragte ich mich, wer denn im Allgemeinen meinen Körper bewegt, weil ich es offensichtlich ziemlich unbeholfen tat. Obwohl ich das Gehen dann schon beim nächsten Versuch gelernt habe, bleibt die Irritation: wie kann mir die Bewegung eines fremden Körpers so klar sein und die des eigenen so fremd?
Und dann die Sprache...
Irgendwie liegt es mir nahe, einen Unterschied zu machen zwischen Gesprächsqualität und Begegnungsqualität... begegnen kann man sich ohne Sprache und eine wirkliche Begegnung macht ein Gespräch erst wertvoll, aber auch eine Begegnung wird wertvoll (nicht wertvoller, aber voll anderem Wert) durch Gespräch. Eine sprachlose Begegnung reicht, um das Vertrauen zu schaffen, sich in einer Akrobatik aufeinander zu verlassen. Aber kann ich einem Menschen als Menschen vertrauen, ohne mich ihm in einem Gespräch genähert zu haben? Es gibt zwar so klare, intensive, wortlose Begegnungen, in der man den anderen als Mensch erkennt (ich kenne sie nicht ohne Liebe), aber in meiner jetzigen Situation spüre ich zwischenmenschliches Vertrauen da wachsen, wo Gespräch möglich war. Da wird die Fremdheit von einem Verbindungsfaden durchzogen und dass geht sogar in einer „Fremd“sprache, Englisch - auf Italienisch aber noch nicht.
Manche Dozentinnen hier weigern sich standhaft z.B. „Standbein“ mit einer fremdsprachigen Bezeichnung zu belegen, oder und auf Italienisch aufzufordern, uns zu entspannen „rilassarsi“. Und als ich ausprobiert habe, was meine Muskeln machen, wenn ich sie mit den verschiedenen gesprochenen Befehlen locker lasse, spüre ich auch einen Unterschied. Den Versuch habe ich gemacht, nachdem ich träumte, dass die maestra di danza sagte, „ich sage „relax“, weil ich will, dass ihr genau das tut - und nicht das, was ihr tut, wenn ich euch die Übersetzung sage.“
Es ist schon witzig, wie man gleichzeitig etwas Neues lernt und neue Worte lernt... was sind z.B. „ischi“? heißen die Dinger Gesäßknochen auf deutsch? Also wer mehr kann, kann oft auch mehr sagen und wer mehr versteht, kann mehr lernen... nur mit dem Verstehen lernen tue ich mich soo schwer! Weil Verstehen im Groben und Ganzen ziemlich einfach ist, aber die nächste Herausforderung ist die Sprache bis dann erst ihre Feinheiten zu beherrschen. Und sie verspricht keinen schnellen Erfolg. Im Alltag (bei der Post, mit meiner Vermieterin...) reicht mein Italienisch. Weil meine Ansprüche gering sind. Ruhe ich mich da auf meinem Ausländerausweis aus?
Es ist etwas anderes, fremd zu sein, als Ausländer zu sein. Eigentlich hatte ich mich darauf gefreut, Ausländer zu werden... aber als dann dieser hässlich graue, verplastikte Amtsfoddel mit einer Rechnung, für die ich auch zehn Tage lecker hätte essen können dalag, fühlte ich mich nicht fremd, nicht eigen, nicht herausgefordert, mein Anderssein und das der anderen Menschen hier zu erforschen und in Begegnung zu bringen – ich fühlte mich so gepackt, wie meine Vergangenheit mich hatte werden lassen und in einer Schublade ad acta gelegt. Punkt - ohne Zukunft. Diese Eindrücke waren nicht stark, sie drangen kaum bis in mein Bewusstsein vor, aber sie vergraulten meine Motivation, mich einzubringen einerseits und (sprachlich) anzupassen andererseits. Und erst seit dem ich mir darüber im Klaren bin, lässt sich diese Motivation wieder locken.
Ausländer... vielleicht ist einfach das deutsche Wort schlimm. Es weist einen auf ein Land außerhalb dessen zurück, in dem man sich befindet, entfernt einen damit von einem selbst und der aktuellen Umgebung... Vielleicht bin ich lieber straniera, dadurch bin ich Fremde, wie Ausländerin es klingt das Seltsame hindurch, es klingt nicht so flach, es passt mehr in dieses Land und sogar mehr zu mir. Dann ist mein „Ausländerausweis“ auch jetzt zum letzten Mal so bezeichnet worden, jetzt ist es so was, wie mein Textbuch: libretto per stranieri – viel kann ich nicht reinschreiben – dann muss ich es wohl doch auswendig lernen...
ich bin fremd und will auch fremd bleiben aber – sono strana.
P.S. wer sich in deutschland mit Ausländerpolitik beschäftigt, sollte sich mal mit dem Fremdsein befassen (ist viel spannender) und Politik für Ausländer den Politikern im Ausland überlassen.
P.P.S. ich wollte noch mehr über das Theater und das Fremd sein schreiben, auch weil Eugenio Barba in "Jenseits der schwimmenden Inseln" Interessantes dazu schrieb, aber ich habe das Buch nicht mit in die Fremde genommen...
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