Am 18. Mai im "Goetheanum" schreibt
CURRO CACHINERO
Poetenfessel
Im Dezember letzten Jahres – versammelt
um einen Wittener Küchentisch – lesen
zwölf Menschen das Stück ‹Santa Cruz›
von Max Frisch. Sofort fällt die verwirrende
Zeitstruktur ins Auge: Die Szenen springen
vor und zurück – 17 Jahre später – dazwischen ein immer wiederkehrender Traum.
Der erste Leseeindruck zeigt, dass hier
‹Karmisches› vorliegt: sowohl zwischen
uns, den Spielenden, und diesem Stoff wie
auch in der verwickelten Liebesgeschichte
zwischen Elvira, einem Rittmeister und
dem Vaganten Pelegrin. Monate des Übens
ziehen ins Land. Die Theatertruppe – von
17 bis 77 – findet sich zwischen «rumorendem Sturmwort» und tschechowscher
Meditation probend in verschiedenen
Waldorfschulen wieder. Langsam entsteht
ein Bild, die Texte sind gelernt, Feinarbeit
nimmt zu, die Spannung steigt bis zur
Premiere am 3. April. Die Ostertagung des
Novalis-Hochschulvereins ‹Erkennen und
künstlerisches Schaffen› bildet den Rahmen. Klaus Hartmann stellt seine These zur
Verknüpfung von Max Frischs Neuland-
gewinnung innerhalb der deutschen
Nachkriegsliteratur und Hernán Cortés’ Eroberung des Azteken-Reiches vor.
Vom Welt-Eroberer zum Welt-Literaten.
Relativ unberührt von schicksalshaften Hintergedanken verläuft das Umkleiden hinter
der Bühne während der Aufführung, deren
Applaus Erfolg verheißt. Auch wenn Hartmanns Deutung hypothetisch bleibt, ein
erhellender Gedanke blieb mir, dem gerade
auch im Leben ‹gefesselten Poeten›: Äußere
Wirksamkeit und Kontemplation können
sich in einem oder mehreren Leben abwechseln. Inneres Ringen oder das Erobern von
Kontinenten, beides kann am Ende gleich-
wertige Substanzen beitragen, zur Verwandlung der Erde in eine zukünftige Sonne.
Donnerstag, 28. Juni 2012
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