Donnerstag, 28. Juni 2012

Presse Santa Cruz

Am 18. Mai im "Goetheanum" schreibt

CURRO CACHINERO
 

Poetenfessel

Im Dezember letzten Jahres – versammelt um einen Wittener Küchentisch – lesen zwölf Menschen das Stück ‹Santa Cruz› von Max Frisch. Sofort fällt die verwirrende Zeitstruktur ins Auge: Die Szenen springen vor und zurück – 17 Jahre später – dazwischen ein immer wiederkehrender Traum. Der erste Leseeindruck zeigt, dass hier ‹Karmisches› vorliegt: sowohl zwischen uns, den Spielenden, und diesem Stoff wie auch in der verwickelten Liebesgeschichte zwischen Elvira, einem Rittmeister und dem Vaganten Pelegrin. Monate des Übens ziehen ins Land. Die Theatertruppe – von 17 bis 77 – findet sich zwischen «rumorendem Sturmwort» und tschechowscher Meditation probend in verschiedenen Waldorfschulen wieder. Langsam entsteht ein Bild, die Texte sind gelernt, Feinarbeit nimmt zu, die Spannung steigt bis zur Premiere am 3. April. Die Ostertagung des Novalis-Hochschulvereins ‹Erkennen und künstlerisches Schaffen› bildet den Rahmen. Klaus Hartmann stellt seine These zur Verknüpfung von Max Frischs Neuland- gewinnung innerhalb der deutschen Nachkriegsliteratur und Hernán Cortés’ Eroberung des Azteken-Reiches vor. Vom Welt-Eroberer zum Welt-Literaten. Relativ unberührt von schicksalshaften Hintergedanken verläuft das Umkleiden hinter der Bühne während der Aufführung, deren Applaus Erfolg verheißt. Auch wenn Hartmanns Deutung hypothetisch bleibt, ein erhellender Gedanke blieb mir, dem gerade auch im Leben ‹gefesselten Poeten›: Äußere Wirksamkeit und Kontemplation können sich in einem oder mehreren Leben abwechseln. Inneres Ringen oder das Erobern von Kontinenten, beides kann am Ende gleich- wertige Substanzen beitragen, zur Verwandlung der Erde in eine zukünftige Sonne.